BEGEGNUG IN DER WILDNIS

Ein Brennbild von Gabi Deutsch 

Auf das Abbrennen einer Lunte folgt für gewöhnlich ein Knall. Anders verhält es sich mit den Brennbildern der Zürcher Künstlerin Gabi Deutsch: Keine Explosion, die den Raum zerreist, keine Trümmer und kein Staub in der Luft. Dafür weisser Qualm, fest und kaum zu durchdringen. Darin lodert die Flamme, frisst sich in steter Bewegung hin, zum Ende der Schnur. Das Feuer faucht durch den Dunst, wenn es die Lunte verschlingt und sich die Hitze in die Wand brennt. Es ist ein wildes Treiben, solange, bis die Flamme ausgebrannt hat. Wild bleibt es auch darüber hinaus, wenn die Sicht langsam aufklart und das Geschehene sich lesbar macht. Der Brand hat eine Spur hinterlassen: Wo mit Lunte und Heftklammern ein Tigergesicht an die Wand geheftet war, in ornamentaler Symmetrie und mit akribischer Exaktheit, schwärzt nun Russ den weissen Untergrund.

Gabi Deutschs Brennbild schöpft aus dem Moment seiner Entstehung. Es ist zuerst Zeichnung und Ornament, dann Spektakel und Ereignis. Dabei trifft Kalkulation auf Zufälligkeit, denn weder die Dichte der Russspuren noch ihre Ausbreitung auf dem Untergrund sind vorhersehbar. Genauso das Brennen der Lunte, die bald durch den Dunst flackert, bald Lichter sprüht wie bengalische Fackeln. Die Qualität des Bildes führt aber über die unmittelbare Erfahrbarkeit der Aktion hinaus. Erst nach dem Gang durch die Wildnis von Rauch und Feuer ist die Zeichnung dort, wo sie ohne nicht ankommen kann: Das Motiv befreit sich aus der Starre, wo es bloss als Appell an Assoziation und Kategorisierung steht. Auch die bildnerischen Qualitäten schöpft das Brennbild aus dem Prozess der Entstehung. Die Energie dieses Momentes überträgt sich förmlich auf sein dunkles Abbild. In Gabi Deutschs Brennbild ist die Lebendigkeit dieses Aktes stets impliziert: Das Bild selbst ist von geradezu performativer Gestalt. Und auch wenn die Spuren der Verbrennung stets das Abrennen der Lunte imaginieren, vermag sich das fertige Bild von seiner Geburt zu emanzipieren. Durch die Formgebung im Zusammenwirken von Motiv und Aktion stellt das Bild einen Umgang mit dem Medium Zeichnung zur Debatte, der von ungewohnter Unmittelbarkeit ist. Das Brennbild fragt nach dem Verhältnis von Linie und Fläche, von Durchlässigkeit und Geschlossenheit, von Lesbarkeit und Abstraktion. Und es fragt den Betrachter nach seiner Bereitschaft, sich auf ein Gegenüber einzulassen, das mehr sein will als ein Zeichen für etwas, was es selbst nicht sein kann. Nur wenn es dem Motiv gelingt, sich der schnellen Erfassung und Verortung zu entziehen, ist ihm die Möglichkeit nach Lebendigkeit gegeben. Wie in der Wildnis selbst taucht dabei der weite Rachen des Tigers auf und verschwindet wider im Dickicht der eigenen Gestalt. Verhinderte beim Abbrennen der dicke Qualm eine klare Sicht auf das Geschehen, setzt sich das Spiel um Setzung und Entzug im Gewirr von Brandspuren und Schlacke fort. Wo sich der Russ niederschlägt, verschmieren sich die linearen Züge des Tigerbildes zur Signatur der eignen Wildheit.

 Im WHITE SPACE zeigt Gabi Deutsch nicht ihr erstes Brennbild. Wie sie zuvor ein Schriftband über Wand und Boden legte, ein Gedicht von Nora Schmid, so kontextualisiert sich das aktuelle Bild deutlich in der Ausstellung FROM WHITE TO WILD. Dem ist auch die Vielschichtigkeit des Werkes zuträglich, das sich vom performativen Akt des Abbrennens bis zum fertigen Bild mit einer Art des Sehens auseinander setzt, wo die Freude am Entdecken wichtiger ist als der Anspruch auf Klärung und Benennung. Über die unmittelbare Bezugnahme auf die Empfindsamkeit des Betrachters hinaus, lässt Gabi Deutschs Arbeit auch die symbolische Kraft der Tigerdarstellung nicht ausser Acht. Ausgehend von der fernöstlichen Mythologie hat er Tiger auch in die abendländische Symbolik Eingang gefunden. Mut, Schnelligkeit und Entschlusskraft, gelten als seine herausragenden Eigenschaften und machen die Raubkatze zu einem beliebten Motiv. Die Faszination für den König des Dschungel ist ungebrochen: Wer über den Dschungel herrscht, herrscht über die wildeste aller Wildnissen. Gabi Deutsch bändigt den Tiger, ehe sie ihn in gekonnter Manier in seine Wildnis entlässt.

 

Christian Ritter