a new moon awaits beyond, Tristan Amor Rabit und Gabi Deutsch © H.A.I.N
Lara Holenweger Text
Der Sommer ist vorüber. Heute Nacht geht der Neumond auf. Draussen sinkt langsam die Dunkelheit, drinnen scheint im Gang «Hotaru» (2024) von Gabi Deutsch. Die Serie von Lampen beleuchtet den Korridor, der die verschiedenen Bereiche im geteilten Studio verbindet. Sie glühen synchron, folgen den Regeln der Serialität: Jede Lampe ist neon-orange glasiert, aus gebranntem Ton und LEDs gefertigt, doch wer genau hinschaut, sieht die Variationen, die feinen Unterschiede in der Form der Keramikfassungen. Es ist der Balanceakt zwischen Wiederholung und Abweichung, der die Lampen zu mehr als Lichtquellen macht. Sie weisen den Weg geradeaus durch den Gang, sie deuten aber verschiedene Richtungen an und führen so auch in die Irre.
Sind es Lampen oder doch glimmende Skulpturen? Funktionale Objekte, die für einige Wochen still ihr kühles Licht an die Wände werfen? LED-Leuchtröhren erinnern im ersten Moment an Neonkunst. Doch dieser Bezug wirkt schnell abwegig, denn die Lichter sind geschickt hinter den orangenen Tonhüllen verborgen. Die Verkleidungen und der Titel weisen in eine andere Richtung: Gabi Deutsch hat den Titel aus dem Japanischen entlehnt. «Hotaru» bedeutet Glühwürmchen, auch eine Anime-Figur trägt diesen Namen. Es findet also eine Übersetzung statt, ein Transfer popkultureller Referenzen in abstrakte Formen mit Funktion. So bewegt sich Deutsch mit der Serie wendig zwischen Kunst und Design. Zwar übernehmen die Lampen eine konkrete Aufgabe, sie gehen aber nicht in einem Zweck auf. Neben ihrer Funktion, Licht in den Gang zu bringen, eröffnet «Hotaru» mit der Abstraktion auch einen Spielraum für die Interpretationen der Betrachter*innen.
Durch den Flur zurück wieder an den Lampen vorbei, geht es zu den Arbeiten von Tristan Amor Rabit (TAR). Eine grossflächige Leinwand trennt einen Arbeitsplatz vom Durchgangsbereich. Auf der Bildfläche verdeckt graue Farbe in groben Pinselstrichen einen Halbkreis in einem sanften Rot. Das Gewebe ist auf der linken und der rechten Rahmenseite aufgerissen. Stoffschleifen scheinen die Leinwand zu umarmen. Die Arbeit «from my desert to opening up throats after» (2024) ist für die Ausstellung im H.A.I.N. entstanden und lebt hier ihr erstes Dasein als Malerei und Trennwand zugleich.
Es kann gut sein, dass das Bild schon bald woanders ein Anderes sein wird. Denn TAR bearbeitet die Gewebe immer wieder, schneidet bereits existierende Malereien auseinander, fügt sie zu neuen Gebilden zusammen, die fern an Gemälde denken lassen, vielleicht auch an gewisse Stränge der Malereigeschichte, jedoch ohne eindeutig zu sein. Anstatt sich auf eine bestimmte Malereitraditionen zu beziehen, baut TAR ein weitergreifendes Referenzsystem auf, das sich unter anderem aus bestehenden Erprobungen speist.
So basiert «nous avons rien d’autre que notre présence radiating skin whipped cream» (2024) auf zwei früheren Arbeiten, ein aus zwei verschiedenen Textilien zusammengenähtes, nach unten ausfansendes Gebilde. An die Stelle der Herstellung eines fertigen Werks tritt also ein performativer Prozess. Darin ist die räumliche Positionierung genauso wichtig wie der körperliche Vorgang des Malens.
In der Arbeit «smoke swallow slow dance behind the scene» (2024) wiederum überlagern sich Stoff- und Farbschichten zu einer ungegenständlichen Anordnung. Die Stoffe hängen über den Rahmen, brechen das Rechteck der Leinwand. Auf welchen und aus wie vielen zerlegten Bildversuchen die Malerei besteht, ist nicht zu erkennen. Nur die Nähte lassen auf den sonst nicht-sichtbaren Akt der De- und Rekomposition schliessen. Bei «sweet heart still standing on the ground» (2024) ist das ähnlich.
Die Titel der Arbeiten sind wie die Bilder und Gebilde zusammengesetzt, Anlehnungen an Gelesenes, die zum Teil aus einem oder wenigen Worten bestehen und nur gelegentlich grammatikalische Sätze bilden. Oft vermengen sich in den Namen mehrere Sprachen. Sie stellen Bezüge zu poetischen, theoretischen oder literarischen Texten her. In den Arbeiten, die in der Ausstellung hängen, beziehen sie sich auf Begegnungen und Berührungen, Erfahrungen, Zeitlichkeit oder Bewegungen in der Zeit: Von dem, was war, über das, was ist, bis zu dem, was sein wird oder sich gerade im Stillstand befindet. Bemerkenswert ist hierbei, dass in TARs Praxis entscheidende Setzungen oft erst bei der Installation der Arbeiten im Raum, teilweise im letzten Moment, geschehen. Fast wie eine Performance, nur ohne Ankündigung und ohne Publikum. Somit räumt TAR dem Unvorhersehbaren einen Platz ein und lockert gefestigte Strukturen auf.
In ihren Arbeiten untersuchen Deutsch und TAR Durchquerungen von Kunst, Prozess und Funktion, testen Übergänge von Struktur und Veränderung. Obwohl die beiden Positionen in ihrem Ansatz verschieden sind, laden sie gleichermassen dazu ein, über die Grenzen und Überschneidungen von Objekt, Raum und Zeit nachzudenken. So bieten die Arbeiten nicht nur Orientierung, sondern auch die Möglichkeit, (einst) Bekanntes und Vertrautes aus einer anderen Perspektive zu sehen.